„Du denkst also, dass das alles hier ein Spiel ist?“, knurrte er. Ich zuckte zusammen und sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Ich hatte den Vorschlag nur gemacht, weil ich nicht wusste, was wir sonst hätten tun sollen. „Es geht hier ja nur um dein Leben, Isabella. Sonst nichts. Das hier ist nur ein lächerliches, nicht ernstzunehmendes und nur äußerst lebensechtes Spiel, das wir hier spielen.“ Er kam mit jedem Wort einen Schritt auf mich zu. Ich machte mit jedem Wort einen Schritt zurück, aber auch nur bis ich mit dem Rücken an der Wand stand und er mit seiner Nasenspitze beinahe meine berührte. „Wir wäre es damit? Wir können das hier auch sofort beenden, denn ich sehe nicht den Sinn dahinter, meine Existenz auch noch zu gefährden, wenn du sowieso eine gewisse Todessehnsucht verspürst. Oder was wolltest du mir mit deinem Vorschlag hier sagen?!“ Wenn Blicke töten könnten, läge ich bereits seit Monaten begraben unter der Erde.
Er starrte in meine Augen und wartete scheinbar auf eine Antwort, doch ich bekam kein Wort raus.
Ich wusste, dass wir hier festsaßen, in dieser kleinen Hütte irgendwo im Nirgendwo, aber… ich wusste auch nicht. Seine Familie würde vor dem nächsten Morgen nicht wieder im Land sein und bis dahin waren die anderen deutlich in der Überzahl. Drei gegen zwei… eineinhalb?... wohl eher eineinviertel. Ich war ihm sicher keine große Hilfe, sollte die Situation irgendwie eskalieren und es zu einem Kampf kommen.
Abrupt drehte er sich um und tigerte angespannt durch den Raum. Ich traute mich kaum, einen Schritt von der Wand weg zu machen. Selbst das Atmen hätte ich mir verkniffen, wäre es nicht für mich so wichtig gewesen.
Meine Nerven lagen einigermaßen blank und ich hatte Hunger und musste aufs Klo. Schade nur, dass wir hier weder über Essen noch über eine Toilette verfügten.
Woah, Bella, ernsthaft? Du machst dir Gedanken, ob hier was zu essen ist? Krieg dich mal ein, denn es kann gut sein, dass du nie wieder etwas zu Essen brauchst.
Als mir die Tränen in die Augen stiegen, wandte er seinen kalten Blick wieder mir zu. „Fang jetzt ja nicht an zu heulen, Isabella! Das bringt uns auch nicht weiter und kostet dich nur unnötig Energie. Also tu uns beiden einen Gefallen und reiß dich einmal zusammen!“, fauchte er mich ungehalten an. Das war alles, was es noch gebraucht hatte.
Schon liefen mir die Tränen über die Wangen. „Ich… ich…“, fing ich an zu stottern. Meine Arme schlang ich um meine Mitte und versucht krampfhaft nicht zu heulen. Als ob das so einfach wäre! Hörte er sich denn manchmal selbst zu? Wenn er nicht so ein Arsch wäre, dann wäre das wesentlich einfacher. Er musste mich ja nicht gleich angiften.
„Ich sagte-“
Er wurde von irgendwas unterbrochen. Von was genau? Keine Ahnung. Ich hatte nichts gehört. Also vermutete ich im Prinzip nur, dass er unterbrochen worden war. Vielleicht hatte er die Gedanken der anderen gehört?
Er war auf der Stelle stehen geblieben und rührte sich kein Stück mehr. So wie es aussah, atmete er nicht einmal mehr. Sein Blick huschte zu einem Fenster, dann zum nächsten.
„Ed-“ Noch bevor ich seinen Namen ganz aussprechen konnte, stand er vor mir und drückte seine kalte Hand auf meinen Mund. Ich war so überrascht, dass ich gequiekt hätte, hätte er mich nicht bereits zum Schweigen gebracht. Was ja dann auch irgendwie gut war, denn das Quieken wäre doch äußerst peinlich gewesen.
Gott, ich muss einen Todeswunsch haben. Es ging hier ums Überleben und ich machte mir über meinen nicht vorhandenen Ruf Gedanken.
Seine Augen fokussierten etwas, was sich wohl draußen im Wald befand. Ich fing an zu zittern. Eine Erkältung hatte ich mir inzwischen sowieso eingefangen, wenn nicht sogar den Tod. Ja, der Tod war irgendwie wahrscheinlicher als die Erkältung.
Warum hatte ich auch nicht auf ihn gehört? Nur einmal?
Wenn sie uns finden würden, wäre es vorbei. Sie würden uns schneller töten, als ich auch nur mit einer Wimper zu zucken.
Ich richtete meinen Blick ganz auf Edward und wartete darauf, dass er mir irgendwelche Anweisungen gab. Denn um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was ich als nächstes tun oder besser nicht tun sollte.
Die Tränen liefen immer noch und so richtig Luft holen ging auch nicht mit seiner großen Hand über meinem Mund.
Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn ich mich darauf konzentrieren würde, nicht weiter zu heulen. Half ja sowieso nicht.
Also versuchte ich so ruhig es ging, ein und aus zu atmen. Gott, warum hatte ich mich heute nicht einfach in meinem Haus verschanzt? Dann wäre uns allen das hier erspart geblieben. War es wirklich so schwer, sich nur einmal an eine Anweisung zu halten? Vor allem wenn man wusste, wie ernst die Lage war.
Ich schloss meine Augen und überlegte mir, wo ich jetzt lieber wäre. Hawaii? Zu warm. Kanada? Hm, ja doch hätte ich nichts gegen, aber vielleicht etwas unpassend. Italien? Das wäre wesentlich praktischer. Dann wäre seine Familie wenigstens hier.
Okay, eigentlich wollte ich nur in meinem Bett zu Hause liegen und lesen, oder noch besser, schlafen.
Inzwischen hatte ich mich einigermaßen beruhigt. Jetzt war ich müde. Klasse. Irgendwas stimmte doch gewaltig nicht mit mir. In so einer Situation wird man doch nicht müde.
Aber, wenn ich mal genauer drüber nachdachte,… ich war bereits seit fast 20 Stunden auf den Beinen. Ich war also berechtigterweise müde.
Nicht ans Schlafen denken… Dann wirst du nur noch müder…
Zu spät. Ich unterdrückte ein Gähnen, das sich langsam hochkämpfte.
Edward sah mich sofort mit zusammengekniffenen Augen an. Er war nicht allzu begeistert.
Pech, ich kann da nichts dran ändern.
Gott, ich sollte mich mal denken hören. Ich wette, wenn er das gehört hätte, wäre die Hütte aber zu klein für uns beide gewesen.
Er wandte seinen Blick wieder ab und schien zu lauschen. Und dieses Mal hörte sogar ich das Geräusch.
Da lief jemand draußen durch den Schnee. Dieses Knirschen erkannte ich überall. Das war sicher kein Tier.
Ich verspannte mich, während Angst langsam die Müdigkeit von ihrem Platz verdrängte.
Wurde auch Zeit. Hey, das hätte auch sein Gedanke sein können, wetten?
In meinem nicht ganz zurechnungsfähigen Zustand – obwohl, wenn wir hier mal ganz ehrlich sind, bin ich eigentlich nie ganz zurechnungsfähig – setzte ich schon beinahe zu der Frage an, als meine Nase anfing zu kitzeln.
Oh, oh.
Noch bevor ich es irgendwie hätte verhindern können, holte ich so tief Luft, wie es ging, und nieste einmal richtig laut. Meine Augen waren zu meinem Glück noch zusammengekniffen, denn ich wollte nicht Edwards Blick sehen. Wir waren jetzt sowas von geliefert.
Die weiteren Geschehnisse passierten so schnell, dass ich mir vorkam, wie in einem dieser schlechten Actionfilme, wo auf einmal alles in Slowmotion passierte.
Ich öffnete meine Augen. Sah Edwards entsetzten Blick. Sah seinen Blick zum Fenster links von uns huschen. Richtete meinen eigenen Blick auf besagtes Fenster und blickte in das Gesicht unseres Jägers.
Zwar konnte ich nicht hören, was er sagte, aber sein breites, diabolisches Grinsen und die Art, wie seine Lippen sich verzogen, ließen nur auf eines schließen: „Ich hab euch gefunden.“
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